Rosettas lange Reise zum Kometen Tschurjumov-Gerasimenko
Am Mittwoch, den 12. November 2014, wurde die staunende Weltöffentlichkeit Zeuge einer ganz außergewöhnlichen wissenschaftlichen Leistung: der Europäischen Raumfahrtgesellschaft ESA war es gelungen, ein Untersuchungslabor von der Größe eines Kühlschranks auf einem Kometen abzusetzen. Damit war die erste Etappe der vor über zehn Jahren gestarteten Rosetta-Mission erfolgreich abgeschlossen. Während dieser Zeitspanne von 10 Jahren hatte die Raumsonde die ungeheure Strecke von 6,4 Milliarden km zurückgelegt.
Bereits 1984 war im Kreis der internationalen Fachwelt die Attraktivität der Kometen als Forschungsobjekt im Zusammenhang mit den offenen Fragen bei der Entstehung des Sonnensystems erkannt worden. Allen Experten war jedoch klar, einen Kometen aus der Nähe zu untersuchen oder gar darauf zu landen, war ein äußerst ambitioniertes Unternehmen. So sollte es auch noch weitere 20 Jahre dauern, bis mit dem Start einer Ariane5G-Rakete im März 2004 von der Weltraumstation Kourou in Französisch Guyana, ein solches Projekt initiiert wurde. An Bord befand sich die drei Tonnen schwere Weltraumsonde Rosetta, ausgestattet mit zahlreichen Messapparaturen und daran angehängt eine 100 kg schwere Landungseinheit, ebenfalls voll gepackt mit Instrumenten, der man den Namen Philae gegeben hatte. Ziel der Reise war der kleine Komet 67P/Tschurjumov-Gerasimenko(kurz Tschuri genannt), der 1969 von dem russischen Astronomen Klim Tschurjumov und seiner Assistentin Swetlana Gerasimenko an der Universität Alma Ata zufällig entdeckt worden war. Dieser etwa 4 km große Eisbrocken schien für eine Landung geeignet, und seine Bahndaten waren ebenfalls so günstig, dass er mit einigen Manövern auch tatsächlich erreichbar erschien. Allerdings handelte es sich mit einer Umlaufzeit von 6,5 Jahren eher um einen atypischen (kurzperiodischen) Kometen. Die Mehrzahl der Kometen stammen nämlich aus dem sogenannten Kuiper-Ring, einem Gebiet jenseits der Neptunbahn, in dem sich schätzungsweise 1 Milliarde Kometen aufhalten. Von dort setzt sich von Zeit zu Zeit der eine oder andere, auf Grund von Störungen die von Neptun ausgehen, in Bewegung und fällt – zunächst langsam wie ein Fußgänger – dann mit zunehmender Geschwindigkeit auf die Sonne zu, die er sodann auf einer sehr schlanken Ellipsenbahn umkreist. Einige treten nur ein einziges Mal in Erscheinung, andere kehren periodisch immer wieder. Typisch für letztere sind Umlaufzeiten von einigen 100 bis 10 000 Jahren. Sehr wahrscheinlich war Tschuri früher auch ein solch langperiodischer Komet, wurde jedoch nach Ausweis von Simulationen um 1840 bei einem Vorbeiflug an Jupiter stark abgelenkt und so auf seine neue Bahn gebracht. Das ist insofern wichtig, als Tschuri damit eine chemische Zusammensetzung aufweisen sollte, wie sie für die Kometen aus dem Kuiper-Ring typisch ist. Diese sind nämlich gleichzeitig mit dem gesamten Sonnensystem vor etwa 4,6 Milliarden Jahren entstanden und repräsentieren wegen ihres Aufenthalts in großer Entfernung von der Sonne (d.h. extrem niedrige Temperaturen, weder Erosion noch chemische Reaktionen) noch den Urzustand der Materie, den man analysieren möchte. Der sonnenfernste Punkt (Aphel) der heutigen Bahn von Tschuri liegt etwas außerhalb der Jupiterbahn bei 5,68 AE (1AE = Abstand Erde-Sonne = 150 Millionen km), während der kleinste Abstand zur Sonne 1,24 AE beträgt; er bewegt sich also immer außerhalb der Erdbahn. Auf einer relativ breiten Ellipse (num. Exzentrizität = 0,64) läuft er so mit einer variablen Geschwindigkeit von 3,4 km/s (vergleichbar mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel) im Aphel bis zu 33,5 km/s im Perihel in 6,4 Jahren einmal um die Sonne. Auf einem solch rasenden Objekt landen zu wollen, ist wahrlich eine Herausforderung !
Keineswegs konnte das Problem auf direktem Wege gelöst werden, indem man einfach mit einer Rakete Tschuri ansteuerte. Der Treibstoffbedarf und die Schubkräfte hierfür wären nicht realisierbar gewesen. Es blieb daher nur eine Lösung übrig, bei der man die Anziehungskräfte der Planeten geschickt ausnutzt. Derartige Flugszenarien, bei denen die Planeten in sehr kleinen Abständen passiert werden, sind als Swing-By Manöver bekannt. Bei der Rosetta–Mission waren insgesamt vier solcher Swing-By Manöver an Erde und Mars erforderlich. Damit erhielt die Sonde den erforderlichen Schwung, der sie auf eine zum Kometen tangential verlaufende Bahn brachte. So näherte sich Rosetta zunächst mit hoher Geschwindigkeit von hinten kommend, wurde dann aber in den Monaten Mai bis Juni 2014 vom Kontrollzentrum in Darmstadt aus stark abgebremst. Schließlich wurde er im August bei etwa 100 km Entfernung im schwachen Gravitationsfeld des Kometen eingefangen. Es folgte nun eine Serie von gesteuerten Umläufen auf Dreiecksbahnen, die u. a. die genaue Bestimmung der Masse (1,0*1013 kg) und des Volumens (25 km3) von Tschuri zum Ziel hatten. Daraus konnte man sodann auch seine Dichte zu 400 kg/m3 ermitteln, also etwa die Hälfte derjenigen von Wasser (1000 kg/m3), was wiederum gut zu einem porösen Eisbrocken passt. Allerdings handelt es sich um relativ schmutziges Eis, das insbesondere durch Kohlenstoff verunreinigt ist und deshalb – zumindest an der Oberfläche – nicht weiß, sondern schwarz aussieht. Tschuri befindet sich zu dieser Zeit bereits innerhalb der Jupiterbahn und die Sonneneinstrahlung ist schon so stark, dass ständig etwas Eis verdampft. Der Wasserdampf umgibt den Kometen in einer langestreckten Wolke, die dem vorauseilenden Kern folgt. Es ist die Anfangsstufe des berühmten Kometenschweifs, der sich in den folgenden Monaten mit weiterer Annäherung an die Sonne auf viele tausend Kilometer ausdehnen wird und durch die Elektronen des Sonnenwindes zu immer stärkeren Leuchten angeregt wird. Die Spektralzerlegung des Lichtes wird dann Auskunft geben, welche Atome und Moleküle in der Gaswolke vorhanden sind. Von besonderem Interesse sind die organischen Moleküle, die uns verraten könnten, ob die Kometen einst das Leben auf die Erde gebracht haben. Das hört sich merkwürdig an, denn einen geeigneteren Ort für die Entstehung des Lebens als die wohltemperierte Erde selbst, kann man sich ja kaum vorstellen. Und in der Tat: alle anderen Planeten weisen nach unserem heutigen Wissen nicht die Spur von Leben auf. Aber die Bausteine des Lebens, die DNA-Doppelhelix-Moleküle, sind derartig komplizierte Gebilde, dass, sollten sie sich überhaupt aus einer statistischen Ansammlung von Atomen und einfachen Molekülen zufällig bilden, dazu auf jeden Fall einen extrem langen Zeitraum benötigen – man schätzt: mindestens einige Milliarden Jahre. Wir wissen aber andererseits, dass das Leben in Form von Bakterien, bereits 200 Millionen Jahre nachdem die Erde sich auf Temperaturen unter 100 °C abgekühlt hatte, vorhanden war. Da stellt sich natürlich die Frage nach alternativen Lösungen. Die Idee, dass Kometen die DNA-Moleküle auf die Erde gebracht hätten, ist keineswegs neu, hat aber neuen Auftrieb dadurch bekommen, dass man tatsächlich in Kometenschweifen bereits komplizierte organische Verbindungen, bis hin zum Guanin, einem wichtigen Baustein der DNA, hat nachweisen können. Die Klärung dieser bedeutsamen Frage ist ein Hauptanliegen der gesamten Rosetta-Mission.
Seit Mitte September ist Rosetta nun auf einer stabilen elliptischen Bahn mit einem mittleren Abstand von 10 km. Aus dieser geringen Entfernung ließen sich sehr genaue Detailaufnahmen von der Oberfläche aufnehmen. Hatte man ursprünglich angenommen, dass seine Form mit der einer Erdnuss vergleichbar war, zeigte sich nun eine wesentlich komplizierte Topologie. Es hatte den Anschein, dass hier ein größerer Rumpfkörper mit einem kleineren Kopf verschmolzen war. Das ganze erinnerte sehr an eine Quietsch-Ente, die Hunde sehr lieben und manche Menschen auch gerne mit in die Badewanne nehmen.
Letzten Mittwoch, am 12. November 2014, begann nun der wohl aufregendste Akt der Mission: Innerhalb von 7 Stunden sank die Landungsstation „Philae“ auf die Oberfläche des Kometen. Etwa so groß wie ein Kühlschrank und auf der Erde 100 kg schwer, war Philae dort leicht wie eine Feder und schwebte ohne Fallschirm gemächlich auf den Kometen nieder. Leider war der Abschluss des Landemanövers nicht ganz so glücklich wie erhofft: Philae machte noch zwei Sprünge und steht nun an einem weniger günstigen Ort als geplant. Die Solarkollektoren, die die Einheit mit Energie versorgen sollen, bekommen nun während eines Tschuri-Tages von 12,5 Stunden (Umdrehungsdauer) statt der erwarteten 7 Stunden nur 1,5 Stunden Licht von der Sonne. Das scheint zu wenig zu sein, denn schon herrscht seit einigen Tagen Funkstille. Wenn das so bleiben sollte, wäre es natürlich ein großes Ärgernis, denn die Messdaten, die in den nächsten Tagen und Wochen gewonnen werden sollten, machen ja den Hauptwert der gesamten Mission aus. Unweigerlich werden dann die Stimmen laut werden, die den Verzicht auf die sonst üblichen radioaktiven Batterien schon bei der Planung als ein großes Risiko eingeschätzt haben.
Aber noch ist Polen nicht verloren. Im Verlauf der weiteren Annäherung an die Sonne könnte die Leistung der Solarmodule wieder ausreichen und damit die Sonde ihre Arbeit doch noch zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Es bleibt also weiterhin spannend. Ohne Zweifel aber war die Mission ein großer Erfolg, auch wenn von nun an nichts Wesentliches mehr hinzu kommen sollte. Übrigens, ein Erfolg der unbemannten Raumfahrt. Mit Menschen an Bord wäre eine solche Mission undurchführbar gewesen.